Die vermeintliche Provinz entpuppt sich nicht nur in der Kriminalliteratur häufig als trügerisches Idyll, in dem sich hinter den Zäunen pittoresker Gärten Abgründe eröffnen, Mitmenschlichkeit geheuchelt und nicht selten genüsslich gemeuchelt wird. All dies findet auch in Henning Kreitels Roman „Der Mord an der Mühle“ statt, Letzteres zwar sparsam, dafür jedoch mitunter wirklich in des Wortes Sinne.
Es mag in Zeiten, da selbst das Fernweh in allerknappster Form durch Sternchen und Emoticons bewertet wird, anachronistisch erscheinen, eine Anthologie historischer Reiseberichte zu veröffentlichen. Womöglich vermag jedoch gerade die detaillierte Ausführlichkeit solcher Texte einen Kontrapunkt zu setzen und so die Leser in den Bann zu ziehen. Dem Herausgeber der Sammlung „Die Lausitz in Reisebeschreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts“ Uwe Hentschel dürften derlei Überlegungen allenfalls zweitrangig gewesen sein. Seinen Angaben zufolge „überzeugen diese Reisebeschreibungen durch ihre Anschaulichkeit und Wahrhaftigkeit; statt Begriffserklärungen und Sachverhaltsbeschreibungen finden sich Ansichten und Eindrücke, die sich zu einem facettenreichen Bild von der Lausitz vereinigen. Wie durch ein Fenster lassen sie uns in eine Welt schauen, die bereits 200 Jahre zurückliegt und dennoch Teil unserer Gegenwart ist.
„Kommt früher“, schrieb die Medienverantwortliche des Cottbusser Staatstheaters. Und diesen Rat möchte ich den Lesern auch geben. Anders als bei Stücken im großen Theaterhaus oder auf der Kammerbühne, beginnt die Freiluftinszenierung „Krabat – Eine sorbische Erzählung“ schon am Eingang des Terrains der Alvensleben-Kaserne, und zwar bereits um 18.30 Uhr, obwohl das Stück selbst erst eine Stunde später anfängt.
Das wohl treffendste Beispiel, wie sehr Musik die Wirkung bewegter Bilder zu beeinflussen vermag, ist die berühmte Sequenz zu Beginn von Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“. Ohne die monumentale „Einleitung“ aus Richard Strauss’ sinfonischer Dichtung „Also sprach Zarathustra“ wäre die Darstellung der Evolution des Menschen vom Affen bis in den Kosmos durch (bewusste) Gewalt weitaus weniger wirkmächtig. Grit Lemkes aktuellem Film „Bei uns heißt sie Hanka – Pla nas gronje jej Hanka – Pola nas rěka wona Hanka“ eine vergleichbare ikonische Kombination zu attestieren wäre vermessen; dennoch ist es ihr geglückt, ihre Szenen so eindrucksvoll wie eindrücklich musikalisch zu unterlegen. Das liegt vor allem an den Beiträgen von Izabela Kałduńska (Violine) und Walburga Wałdźic (Gesang), die den Großteil des Soundtracks komponiert, arrangiert und produziert haben.
„Die Sorbische Bibliothek“ ist eine Anthologiereihe des Domowina-Verlags, mit der „seit dem Jahr 2000 Werke des literarischen Erbes und zeitgenössischer Literatur sorbischer Autorinnen und Autoren in deutscher Sprache herausgebracht werden“. Vorrangiges Ziel dieser Sammlungen sei, dem „drohenden Untergang der sorbischen Literatur in einer dominanten Umgebung“ entgegenzuwirken und der Leserschaft allenfalls „verstreut anzutreffende Autorenfassungen in Deutsch oder gar Übertragungen aus dem Sorbischen“ zugänglich zu machen. Der neueste, vor gut fünf Monaten erschienene und unlängst auf der Leipziger Buchmesse (siehe auch Seite 3) vorgestellte zwölfte Band „Wie ein Mittelpunkt entsteht“ beinhaltet „der Form nach vielfältige Prosastücke von der klassischen Erzählung über essayistische Porträts bis zur Miniatur“, die in den zurückliegenden drei Jahrzehnten entstanden sind, wie die Herausgeberin Marka Maćijowa in ihrem Vorwort zusammenfasst.
Auf dem Tisch liegt ein rosafarbener Briefumschlag. Neugierig frage ich mich: Was mag wohl in ihm verpackt sein? Ist das etwas nur für Frauen und Mädchen? Nein! Im Umschlag verbirgt sich die feministische Anthologie „AUFBRUCH IST WEIBLICH“. Gemeinsam mit sieben sorbischen Jugendlichen beschäftigt sich die Herausgeberin des Buches Jessy James LaFleur mit der Frage, wie das Leben einer jungen Frau in der Lausitz aber auch generell in unserer Welt aussieht. Die Einblicke, welche die Frauen vermitteln, sind oftmals scharf wie die Klinge eines Messers, das tief in das männliche Ego sticht. Es entsteht der Eindruck, dass die Poetinnen mit diesem Buch endlich einmal abrechnen wollten: Mit ihrer Frustration auf die Gesellschaft, aber auch mit einem System, welches sie als Frauen konsequent benachteiligt.
Auf die hypothetische Frage, wie sich experimentelle Musikarchäologie anhören könnte, gibt die CD „Po łužiskich pućach – Łużyckim traktem – Auf Lausitzer Wegen“ insgesamt 13 mögliche Antworten. Kompetent eingespielt vom renommierten Released Sounds Trio, wurden auf dem Tonträger „Note für Note“ Lieder und Tänze verewigt, die im „Kralschen Geigenspielbuch“ erstmals schriftlich Erwähnung fanden. Diese autografe Anthologie aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gilt als älteste Quelle der sorbischen Musik; für den polnischen Musikethnologen, Psychologen und Flötisten Maciej Rychły ist sie „aller Wahrscheinlichkeit nach das älteste authentische und reich mit Beispielen versehene uns bekannte Dokument der Volksmusik aller slawischen Regionen“. Nach etwa 15 Jahren, in denen er die „erstaunlich akkurate Notenschrift“ intensiv studiert hatte, wählte er aus den 182 dort eingetragenen Melodien 28 aus, die von den beteiligten Musikern in die 13 Titel des Tonträgers zusammengefasst wurden.
Wer in diesen Wochen an einer Lausitzer Buchhandlung vorübergeht, der erkennt im Schaufenster vielleicht einen stattlichen Titel in Grün: Das ist die Geschichte eines evangelischen Sorben aus Puschwitz/Bóšicy bei Neschwitz/Njeswačidło, der – als Soldat der sächsischen Infanterie – drei Einigungskriege überlebte (1864, 1866, 1870/71) und danach jahrzehntelang bei den Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen seinen Dienst versah. Im Dörfchen Lehn/Lejno bei Obergurig/Hornja Hórka, an der Bahnstrecke Bautzen-Bad Schandau, wohnte er mit seiner wachsenden Familie, im Glauben seiner Väter fand er Erfüllung unter den zweisprachigen Nachbarn und Freunden. Nacherzählt hat diese „Lebensfahrt“ zwischen 1839 und 1909 seine Urenkelin, die sich dabei auf Notizen jenes Johann Zaute (sorbisch Jan Całta) stützen konnte. Sie heißt Sabine Bauer-Helpert, wurde 1950 in Schirgiswalde geboren, war Übersetzerin und vor allem Pfarrerin, als welche sie in der Pfalz und im Saarland sowie im Ausland gewirkt hat. Im Ruhestand kehrte sie 2016 in die Oberlausitz zurück und lebt seitdem in Görlitz.
Der Rumäne Traian Pop, geboren 1952 in Brașov/Kronstadt, ist seit nunmehr zwei Jahrzehnten ein engagierter Förderer ost- und südeuropäischer Literatur in Deutschland. Mithilfe seines 2002 gegründeten Verlags in Ludwigsburg bei Stuttgart veröffentlicht er regelmäßig Übersetzungen von Lyrik und Prosa in deutscher Sprache. Sein neuester Streich: die Herausgabe von Gedichten aus Osteuropa, aber nicht nur auf Deutsch, sondern – hauptsächlich durch Vermittlung von Benedikt Dyrlich – auch auf Obersorbisch. Der erste Versuch in dieser Richtung war eine Auswahl der Poesie des Serben Mićo Cvijetić (1946-2023). Der Journalist Cvijetić, renommierter Slawist und enger Freund der Lausitzer Sorben, publizierte 2019 im Pop-Verlag die sorbisch-deutsche Gedichtsammlung „Donjebjesspěće / Himmelfahrt“ – die erste literarische Kostprobe in einer solchen Kombination überhaupt.
Was für ein Glück, wenn man in seinem Arbeitsleben (das nicht mit der Rente enden muss) das tun kann, was einen erfüllt, Freude bereitet und ganz nebenbei auch noch für andere Menschen wichtig ist. Dem Fotografen Jürgen Matschie war dieses Glück beschieden. Und er setzt sich auch nach seinem 70. Geburtstag noch längst nicht zur Ruhe. Zurzeit sichtet er sein Lebenswerk, um es der Deutschen Fotothek zu übergeben. Und der Domowina-Verlag hat ihm zu seinem runden Geburtstag, den er im Februar dieses Jahres feiern konnte, ein adäquates Geschenk gemacht: den Bildband „Ducy domoj – Unterwegs nach Hause“. Der Untertitel „Fotografien 1972–2022“ zeigt schon, dass es sich dabei um die Bilanz eines 50-jährigen Schaffens handelt. Es gibt sogar „Ausreißer“ nach unten: Bereits 1965 fotografierte Jürgen Matschie seine Eltern Liesbeth und Erich Matschie. Hier zeigte es sich bereits, dass er es schon in jungen Jahren nicht darauf anlegte, Menschen für ein Foto zu „stellen“. Matschie ist eher der stille Beobachter, der es versteht, die Menschen vergessen zu machen, dass überhaupt ein Fotograf zugange ist.